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Das Bier aus einer altehrw?rdigen Frucht

Die Tessiner Kastanie: Sie ist z?h, stachelig und vielseitig. Fr?her war sie das nahrhaft – eint?nige „Brot der Armen", heute wird die geschichts-tr?chtige Frucht als Delikatesse gefeiert. Und als neue Kreation gibt es ab der 1999-ziger Ernte sogar Kastanienbier.

Gebratene Marroni, Vermicelles mit Schlagrahm oder Glace, Kastanienbrot, Kastanienflocken ins M?sli, Pasta aus Kastanien, marrons glac?s - es gibt kaum etwas aus Kastanien, was es nicht gibt. Und jetzt auch noch Kastanienbier. Es schmeckt - es schmeckt nach Tessin in der Septembersonne, leuchtendem Herbstwald und Kastanien eben.

Es begann alles mit Ferien auf Korsika. Dort lernten die Tessiner Lebensmittelingenieure Gabriele Mazzi und Pierluigi Zanchi erstmals ?Pietra?, das korsische Kastanienbier, kennen. Sie waren begeistert von der Idee, allerdings nicht vom Geschmack des Bieres: ?Es schmeckte nicht mehr nach Kastanien?. Zuviel Hopfen war darin, der Bittergeschmack ?bert?nte die Kastanie.

Zur?ck von der Mittelmeerinsel, ?bten sich Mazzi und Zanchi ein Jahr lang ?ber dampfenden T?pfen in der Kunst des Bierbrauens. Dann war es geboren: ?Cast?gna?, das Kastanienbier. Wasser, Malz, Hopfen und Kastanien, nichts anderes kommt hinein. Mischung und Know-how unterliegen jedoch dem Braugeheimnis. Herausgekommen ist ein Bier, das kellerk?hl und sehr bewusst zu gemessen ist, ganz leicht s?sslieb im Geschmack und etwas dickfl?ssiger als ein normales Bier - vergleichbar mit den irischen Spezialbieren; es eignet sich nicht zum einfach so ?Hinunterkippen?. Industriell hergestellt wird es jetzt von der Brauerei Locher in Appenzell, die bekannt ist f?r liebevoll hergestellte und gepflegte Spezialbiere.

Die beiden Erfinder sind sich bewusst, dass die ?Cast?gna? ein Nischenprodukt ist und bleibt. Denn Kastanienbier ist nicht wie herk?mmliches Bier: es l?sst sich nur in kleinen Mengen geniessen, da es stark s?ttigend ist. Auch eignet es sich nicht dazu, eiskalt getrunken zu werden, da das Aroma sonst leidet. Gerade im Sommer sind jedoch diese Eigenschaften eher nicht gefragt. Doch Gabriele Mazzi ist mit der bisherigen Bilanz von neun Monaten Produktion und Vertrieb zufrieden.

Abgabe f?r Kastanienanbau

Konsumentin und Konsument investieren mit jeder Flasche ein Prozent des Kaufpreises in den Tessiner Kastanienanbau. Trotzdem kommt ein Teil der Kastanien noch aus Italien. Die Qualit?t und Menge der Tessiner Kastanien reicht noch nicht aus f?r eine konstante Bierproduktion. Doch Gabriele Mazzi setzt sich vehement f?r die Wiederbelebung des Anbaus der nahrhaften Tessiner Traditionsfrucht ein.

Wenige Jahre ist es her, da lag der ganze Reichtum aus den teilweise verwahrlosten Kastanienselven im Laub und blieb Tieren und der F?ulnis ?berlassen. Mit den ?Castagne? wurden im S?dkanton Armut und schlechte Zeiten assoziiert, man wollte m?glichst nichts mehr mit ihnen zu tun haben.

Heute kann man die Geschichte der Kastanie und ihrer Kultur im Malcantone - Museum in Curio besichtigen. Kastanien waren lange Zeit die einzige Nahrung der armen Bev?lkerung im Tessin. Jede Familie hatte ihre B?ume in der N?he des Dorfes. Die Frauen sammelten im Herbst die Kastanien, ohne auch nur eine einzige liegen zulassen. Dann wurden sie auf dem Dachboden, im Rauch des Holzfeuers getrocknet. Die getrockneten Fr?chte kamen in einen Sack, auf den so lange draufgeschlagen wurde, bis die Schalen abfielen, danach konnte man sie den ganzen Winter ?ber lagern. Aus Kastanienmehl und Bohnen, vermischt mit Kolbenhirse, buk man Brot. Es gab tagaus, tagein Kastanien, gebacken, ger?stet, gekocht. Als sich auch die Bauern Brot und Reis kaufen konnten, verwilderten die kultivierten Kastanienhaine, ?Selven? genannt.

Kastanien symbolisierten somit bislang im S?dkanton das alte Tessin. Das heisst, den armen Kanton von Bauern und Auswanderern vor dem in den f?nfziger Jahren einsetzenden Wirtschaftsboom, der die Region dann binnen zweier Generationen ins Computerzeitalter katapultierte. Jetzt wird aber - auch dank neu erwachendem Gesundheitsbewusstsein - die nahrhafte Gratisfrucht wieder salonf?hig. Nur die ganz Alten, sagt Lebensmittelingenieur und Kastanienliebhaber Gabriele Mazzi, k?nne er nicht mehr f?r die Kastanie begeistern.

Erfolgreich waren aber die Bem?hungen des Kantons um eine Wiederbelebung der Kastanienselven. Denn die Natur hat sich um die in die Selven investierte Pflegearbeit nicht geschert: Eschen, Ahorn, Buchen, Birken und Eichen siedelten sich in den einst kultivierten Kastanienhainen an und bedr?ngten den lichthungrigen Baum. Doch noch immer ist jeder f?nfte Baum im Tessin eine Kastanie. Ennet des Gotthards ist es gerade jeder hundertste. 1991 wurde auf Beschluss der Tessiner Regierung eine ?Arbeitsgruppe Kastanie gegr?ndet, die sich ausschliesslich f?r die Wiederbewirtschaftung der Selven einsetzte und dieses Ziel mit Subventionen und kostenloser Beratung unterst?tzte. Etwa eine halbe Million Franken an Subventionen werden j?hrlich ausgesch?ttet. Rund 100 Hektar Kastanienwald wurden damit bisher wiederbelebt. Absicht der Arbeitsgruppe ist, dass f?r die Besitzer der Kastanienw?lder der Verkauf der Frucht so lukrativ wird, dass die Selven- pflege auch ?konomisch wieder sinnvoll wird. Unterst?tzung fand sie zuerst in der Vereinigung der Gemeinden des Malcantone und ging dann auf im heuer gegr?ndeten ?Verband der Kastanienanbauer der italienischen Schweiz? (Associazione dei castanicoltori della Svizzera italiana), deren Ziel es ist, die Kastanie und deren Anbau im Tessin aufzuwerten, das Wissen ?ber Geschichte, Kultur und Anbau der Tessiner Kastanie zu verbreiten und die allj?hrliche Ernte durch die Bev?lkerung zu f?rdern.

Qualit?t deutlich gestiegen

Bereits letztes Jahr wurden im Tessin 12 Tonnen Kastanien professionell gesammelt und verkauft, dieses Jahr k?nnte diese Menge ?bertroffen werden. „Unser Ziel ist aber nicht Quantit?t, sondern Qualit?t", sagt Giorgio Moretti von der kantonalen Forstabteilung und Leiter der Arbeitsgruppe Kastanie- Und dieses Ziel werde jetzt wieder erreicht. Gesteuert durch den Abgabepreis achten die Sammler besser darauf, grosse und gesunde Fr?chte zu ernten. F?r bessere Qualit?t gibt es an der zentralen Sammelstelle mehr Geld. Bei der Gartenbaufirma Enzo Crotta in Muzzano oder deren Zweigstelle in Iragna bei Biasca bekommen Sammlerinnen und Sammler je nach Qualit?t zwischen 80 Rappen und drei Franken pro Kilo Kastanien. Bei Crotta werden die Fr?chte handverlesen. Der Betrieb verkauft die Marroni dann entweder direkt an Frucht- und Gem?sem?rkte oder die Grossverteiler innerhalb und ausserhalb des Kantons. Ein Teil davon wandert zum Kr?uter- und Bioproduktbetrieb von Peter Lendi in Curio, im Malcantone. Dort werden die Fr?chte getrocknet und gesch?lt. Anschliessend werden sie zu Kastanienflocken oder zu Kastanienmehl weiterverarbeitet. das unter anderem f?r Kastanienbrot verwendet wird. Auch Nudeln aus der Produktion Lendi werden immer beliebter.

?Das Tessin holt auf?, sagt Peter Lendi. Fr?her kamen n?mlich sogar die heissen Marroni, die im Tessin an den M?rkten verkauft wurden, via Lastwagen aus S?dfrankreich oder Italien - das d?rfte sich mit wachsender Qualit?t der einheimischen Produkte ?ndern. In Lendis Betrieb erprobt man auch die maschinelle Sammlung mit einem Kastaniensauger. wie er sich in anderen Mittelmeerl?ndern bereits bew?hrt hat. Die Maschine saugt die Fr?chte ein. und sortiert Laub und ?ste gleich aus. Die gesammelten Fr?chte werden heute mit Maschinen getrocknet und gesch?lt. Sie sind dann allerdings weniger haltbar als Kastanien, die wie fr?her ?ber Holzfeuer getrocknet wurden.

Information. Das Kastanienbier ist auch in der Nordwestschweiz erh?ltlich. Bei: Theo Rietschi, Biere aus aller Welt. Talstrasse 84, 4144 Arlesheim. Tel 706 55 33. Und bei Bottega Ticinese, Leonhardstrasse 24 4051 Basel. Tel. 262 31 01.

Von Barbara Hofmann, Basler Zeitung, 23. September 1999

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